“DIE RUSSEN BESETZTEN UNSER DORF, UND UNSERE FELDER WURDEN ZUR FRONTLINIE”
Ihor war gezwungen, eine seiner Farmen im Gebiet Charkiw zu verlassen, weil russische Truppen dieses Gebiet im Frühjahr besetzt hatten. Er verlor seine Ernte und seine landwirtschaftlichen Ausrüstungen. Die Besatzer ließen sich in seinem Haus nieder.
Seit über 11 Jahren baut er Getreide an und bewirtschaftet zwei Farmen. Eine seiner Farmen liegt im Gebiet Charkiw – genau in der Region, die derzeit unter ständigem Artilleriebeschuss steht und teilweise unter der russischen Besatzung leidet.
Ihor evakuierte sich ins Gebiet Chmelnyzkyj, wo er jetzt für das Schicksal seiner zweiten Farm kämpft. Ihor schätzt den Schaden an seiner Farm auf mindestens 4 Millionen Dollar, aber die Experten sind noch dabei, die genauen Kosten der Verluste zu ermitteln.
Und dies ist seine Geschichte.
Es ist unmöglich, nähere Informationen über das Schicksal meiner Mitarbeiter und meines Eigentums zu erfahren
Selbst Drohnen können ins Gebiet meiner Farm nicht fliegen, weil dort ein funkelektronischer Krieg herrscht. Ich konnte meine Leute seit über zwei Monaten nicht mehr erreichen, weil sie die ganze Zeit ohne Strom blieben. Natürlich funktionieren die Versorgungsdienste in den besetzten Gebieten nicht.
Anfang Juli hatte ich mein letztes Gespräch mit meinem Nachbarn. Er bestätigte, dass ein Projektil den Hangar mit Ausrüstung getroffen hat. Mehr kann ich nicht sagen, weil die Russen die Leute nicht einmal aus ihren Häusern lassen. Die Russen haben unser Dorf besetzt, und unsere Felder wurden zur Frontlinie.
Fünf bis sechs Personen blieben im Dorf, darunter eine Familie mit zwei Kindern. Das russische Militär erlaubt ihnen nicht, das Dorf in irgendwelche Richtung zu verlassen. Die vorderen Positionen der ukrainischen Armee scheinen vier oder fünf Kilometer entfernt zu sein, aber es ist unmöglich, sie zu erreichen, weil die Gefahr eines Beschusses besteht. Wir wissen wirklich nicht, was für Gräuel dort gerade passieren.
Die Ernte ist bereits in vollem Gange, aber die Felder sind vermint
Wir haben in der Region Charkiw 1.720 Hektar Land, aber nur etwa 1.470 Hektar sind anbaubar. Der Winterweizen hatte die Kälte recht gut überstanden, also hatten wir geplant, im Haushalt für das Düngen und den chemischen Schutz zu sorgen. Aber der Krieg und die Besatzung haben unsere Pläne geändert. Heute sind die Felder mit Schützengräben durchzogen und von Kratern verstümmelt.
Die NDVI-Karten per Satellit zeigen, dass der Weizen reif ist. Er ist bereits in der Erntephase, aber die Felder sind vermint. Die Felder, die wir wegen des Krieges nicht eingesät haben, sind mit Unkraut und Fäulnis bedeckt.

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Das Ausmaß der Zerstörung und des Schadens lässt sich nur schwer abschätzen
Unsere Buchhalterin ist erst Anfang April aus Wowtschy Jar geflohen. Sie hatte Zeit, mit eigenen Augen die Zerstörungen, die Beschlagnahme der Häuser der Einheimischen und die von den Russen absichtlich zerstörten landwirtschaftlichen Maschinen zu sehen. Auch in meinem Haus waren Besatzer untergebracht. Nach der Evakuierung unserer Buchhalterin hatten wir keine Möglichkeit mehr, zuverlässige Informationen über die Lage im Dorf zu erhalten.
Natürlich hatten wir keine Zeit, Maßnahmen zur Evakuierung des Eigentums zu ergreifen. Zwei Tage nach dem Einmarsch plünderten die Russen bereits unseren Betrieb. Die Besatzer stahlen mein Quad und eine Dieselmaschine, schlugen die Scheiben der Traktoren ein und fuhren mit einem davon über das Feld, um den Buchstaben “Z” zu “zeichnen”. Etwa zwei Tage später wagten wir es, in den Hangar zu gehen und ein Video aufzunehmen. Und das war die letzte Gelegenheit, den Schaden zu dokumentieren.
Die Ukraine ist ein aktiver Teilnehmer auf dem globalen Getreidemarkt
Mein Unternehmen ist seit langem ein Exporteur und zuverlässiger Lieferant für Ägypten, Spanien, China und andere Länder. Letztes Jahr haben wir Tausende von Tonnen an Produkten nach Mykolajiw exportiert und Weizen und Sonnenblumenkerne aus der Ukraine verkauft.
Infolge des Krieges und der Besatzung verliert die Ukraine ihre Position auf dem Weltagrarmarkt, und der Umfang der Produktexporte geht zurück. Dies führt zu einem Anstieg der Preise. Heute kostet der Weizen in Europa etwa 400 Euro pro Tonne. Und vor kurzem waren es nur noch 300…




Ukrainische Landwirte ernten unter Beschuss Weizen, um ihre Betriebe zu retten
Unser Traktorfahrer Oleksandr sagte, dass seine Kollegen unter dem drohenden Beschuss aufs Feld gehen und versuchen, Weizen zu ernten. Dies ist ihre letzte Chance, das Geschäft zu retten, denn die finanzielle Lage in den Frontgebieten ist schwierig.
Heute ist die Rentabilität der Landwirtschaft recht dürftig. Daher arbeiten die ukrainischen Landwirte nach der Strategie des einen Tages. Wenn es eine Möglichkeit zum Sparen gibt, sparen sie. Wenn es keine solche Möglichkeit gibt, verkaufen sie. Es ist notwendig, Löhne, Steuern und laufende Kredite zu zahlen. Unser Unternehmen wird dieses Jahr nicht ernten – das Gebiet ist noch besetzt. Die Frage bleibt offen: Werden wir in der Zukunft säen können?
Das Leben als Landwirt ist derzeit in der Ukraine äußerst schwierig. Im Frühjahr sprengten Minen während der Feldarbeiten im Ostteil des Landes die Traktoren in die Luft. Im Mai schossen die Russen aus Spaß auf eine selbstfahrende Wasserspritzanlage. Die Landwirte leiden unter ihrer Barbarei. Viele Bauern haben das Land verlassen, um ihre Familien zu retten. Meine Kollegen bitten mich, auf einem zweiten Hof zu arbeiten. Auf diese Weise unterstützen wir uns jetzt gegenseitig.
Aber dies sind unsere Grundstücke und unsere Ernte. Natürlich sind wir bereit, hart zu arbeiten, um es den Russen nicht zu überlassen.